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Erfurt in digitaler Bewegung.

Die junge Kreativwirtschaft wächst nicht nur im Silicon Valley oder in Berlin. Der erfolgreiche Start-up-Unternehmer Hannes Mehring setzte früh auf Erfurt. Nun ist er Vorbild für andere – mit Innovationsbereitschaft, einem familienfreundlichen Klima und dem persönlichen Draht zum Minister. 

Menschen wie Hannes Mehring nennt man „First Mover“. Früher, in der Zeitrechnung vor Internet und Gründerboom, hieß es: ein ausgeschlafener Typ, der gute Ideen hat und diese schneller als andere umsetzt. Hat der 33-Jährige alles gemacht. Aber richtig genial war sein Impuls, als es vor fast zehn Jahren darum ging, wo er seine Firma gründen sollte. Berlin? Hamburg? Nein. Er entschied sich für Erfurt.

„Man findet hier Gehör, sowohl mit einer Geschäftsidee als auch politisch“, bilanziert Hannes Mehring die Standortfrage, während er am großen Holztisch seines Büros sitzt, das er mittlerweile vergrößert hat und das aus der Erfurter Altstadt auf das Gelände des Studioparks KinderMedienZentrum umgezogen ist. Nebenan wird die KiKA-Serie „Schloss Einstein“ produziert. In seinem bequemen Jeans-und-Kapuzenshirt-Look bestätigt der Brillenträger in diesem Umfeld, dass in der heutigen Start-up-Szene die Unterschiede zwischen Praktikant und Geschäftsführer vollends verwischt sind, zumindest optisch.

 

Die zwei Partner entwickelten dann die App CrowdRadio: In einem frühen Stadium der neuen Anwendungsmöglichkeiten für Smartphones konnten Radiostationen ihre Reichweite erweitern und erhielten direktes Feedback von ihren Hörern. Mehring: „Das war unsere allererste Produktidee.“ Sie wurde von vielen Sendern übernommen, und im Jahr 2012 wurde die Erfurter Agentur dafür vom Grimme-Institut mit dem Deutschen Radiopreis für die beste Innovation ausgezeichnet.

In wirtschaftlicher Hinsicht ist Hannes Mehring den Kindertagen längst entwachsen. CrowdArchitects mit seinen derzeit 15 Mitarbeitern ist eine Firma, die sich darauf spezialisiert hat, Menschen, die das Internet geschäftlich effektiver nutzen wollen, mit Medien-Know-how und dem entsprechenden technischen Rüstzeug auszustatten. Dass hier hoher Bedarf besteht, zeigen die geradezu explodierenden User-Zahlen von YouTubern oder Influencern im Netz. Und mit ihnen wachsen auch die Aufträge und Umsätze für den Digitalpionier aus Erfurt: „Wir erreichen über die Influencer insgesamt Menschen im mittleren zweistelligen Bereich.“  

Der Mann, dem die YouTube-Stars vertrauen

Wenn Hannes Mehring von einem Kunden spricht, sagt er „Creator“: „In der Regel sind das sehr junge Leute, die manchmal geplant, manchmal durch Zufall auf einzelnen Social-Media-Kanälen sehr erfolgreich geworden sind.“ Zu seinen rund 70 „Creators“ zählt beispielsweise YouTube-Star Paola Maria, Mitte 20, deren Beauty-Kanal mehr als 1,6 Millionen Menschen verfolgen. Ihnen stellt Mehrings Team dann ein „ToolKit“ – im alten Wirtschaftsjargon eine Art Baukasten –  zur Verfügung: „Damit helfen wir ihnen, sich zu professionalisieren und Geld zu verdienen.“

„Wo hätte ich noch die Möglichkeit, mich mehrfach im Jahr mit dem Wirtschaftsminister auszutauschen?"

Es ist ein Geschäftsmodell, das nicht nur in Deutschland auf Interesse stößt: Anfang des Jahres reiste Mehring als Mitglied einer Delegation der thüringischen Landesregierung aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaften ins kalifornische Silicon Valley. Dort wurden erste vielversprechende Kontakte im US-Markt geknüpft: „Bei den Investor Days Thüringen haben wir dann die Einladung bekommen, als erstes Start-up im Namen des Landes für einen Monat da rüberzugehen.“ Auch das ist für ihn ein klarer Standortvorteil: „Ich weiß nicht, wo ich noch die Möglichkeit hätte, mich mehrfach im Jahr mit dem Wirtschaftsminister auszutauschen.“

Provinz? Ballungsraum? Metropole? Auch diese Begriffe sind in der globalisierten Welt durchlässiger geworden. Mit einer guten Idee kann man sich überall durchsetzen, und sie wird sich dann im Weltdorf verbreiten. „Das Silicon Valley hat inzwischen auch schon eine Geschichte von 50 und 60 Jahren“, bemerkt Mehring mit seinem jungenhaften, verschmitzten Lächeln. Will sagen: Die nächste Generation von vorausdenkenden „First Movern“ entwickelt sich möglicherweise ganz woanders. An Orten, die jetzt noch niemand auf der Rechnung hat.  

Standortvorteil Erfurt: Start-up-Szene, moderne Unis, Mountainbiken.

Mehrings Entscheidung für Erfurt war auch eine Folge seiner Studienort-Wahl. Er hatte sich 2007 an der TU Ilmenau, nur rund 30 Kilometer von der Landeshauptstadt entfernt, eingeschrieben. Der gute Ruf des dortigen Studiengangs für Angewandte Medienwissenschaften hatte sich bis in den hohen Norden verbreitet. Aufgewachsen in der Nähe von Hamburg, absolvierte Mehring nach seinem Abitur zunächst eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann in Hannover. Für den Wechsel nach Thüringen gab es dann neben bezahlbaren Mieten für ihn noch einen weiteren Grund: „Ich kann in der Umgebung gut mountainbiken.“

Nach dem Studium gründete Mehring mit seinem Freund Andreas Kühn 2008 zunächst eine Agentur für Medienberatung. Und das schon mit einer klaren Fokussierung auf die einsetzende Dynamik in sozialen Netzwerken wie Facebook. Warum und wie Menschen Medien nutzen, das habe er schon als Jugendlicher spannend gefunden: „Dahinter steckt so ein empathischer Ansatz, sich in andere hineinzuversetzen.“

Beflügelt von diesem imposanten Erfolg, ließ das Duo die Agentur dann vor drei Jahren im Unternehmen CrowdArchitects aufgehen. Als Hauptinvestor stieg die Landesregierung mit ihrem Start-up-Fond „Beteiligungsmanagement Thüringen“ ein. Der Geschäftskern wurde konsequent erweitert: Was fürs Radio so gut funktioniert hat, adaptierte man auch für den boomenden Webvideo-Markt. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Gründern hat sich bis heute weiterprofessionalisiert. Während Andreas Kühn als CTO (Chief Technical Officer) den Technikbereich verantwortet, ist CEO (Chief Executive Officer“) Hannes Mehring als Geschäftsführer zugleich der Außendarsteller der Firma. Es ist eine Rolle, die ihm liegt: Mehring ist ein guter Kommunikator. Sehr smart, aber auch sehr professionell. 

Das Betriebsklima: ein lockerer Vater unter vielen jungen Eltern.

Um Geschäftspartner und neue potenzielle Investoren zu kontaktieren, ist Mehring viel unterwegs, vor allem in Berlin. Mit der 2015 neu eröffneten ICE-Verbindung Erfurt–Berlin erreicht er in nur knapp zwei Stunden die deutsche Start-up-Metropole, und nach Geschäftsterminen fährt er meistens noch am selben Tag zurück. Erfurt müsse sich vor Berlin nicht verstecken, betont er gern. In den zurückliegenden zehn Jahren habe sich das Umfeld, insbesondere für neue Firmenmodelle aus der digitalen Wirtschaft, „krass verändert“.

Neben den Hochschulen in Erfurt und Ilmenau mit den Schwerpunkten auf Medien und Informatik betont Mehring vor allem die guten Bedingungen für Familien – neue Geschäfte, Kleinbetriebe, eine sich rasant entwickelnde Café- und Kneipenkultur. „In den letzten zwei Jahren fallen mir bestimmt drei oder vier Läden ein, die plötzlich Kinderklamotten verkaufen“, sagt Mehring. Der Firmenchef ist selbst seit Kurzem Vater – und auch in den Räumen im Erfurter Studiopark von vielen jungen Eltern umgeben. Dort setzt er auf flexible Arbeitsstrukturen und ein lockeres Arbeitsklima, das Hannes Mehring selbst vorlebt. Und er ist davon überzeugt, dass es der beste Weg ist, Mitarbeiter langfristig an sein Unternehmen zu binden: „Zwei Mütter haben gesagt, sie möchten gerne nach einem halben Jahr wiederkommen, weil sie nicht so viel verpassen wollen.“

 

Urheber: WeltN24 / BrandStation

Den Originalbeitrag finden Sie unter: www.welt.de

Veröffentlicht am:
01.12.2021