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Thüringer Wissenschaftler waren an der Entschlüsselung des menschlichen Genoms beteiligt und nahmen unter anderem das X-Chromosom genauer unter die Lupe.

Schlüsselort der Menschheitsgeschichte: Thüringen und das menschliche Genom

Das Erbgut des Menschen besteht aus über drei Milliarden Bausteinen. Seit 2022 liegt ihre genaue Reihenfolge vor – ein spektakulärer Erfolg der Biowissenschaften, an dem auch Forscher aus Thüringen ihren Anteil hatten. Aber nicht nur die Entschlüsselung des menschlichen Genoms gelang dank Thüringer Expertise: Frühzeitliche Knochenfunde aus dem Freistaat lieferten 2024 die bisher älteste DNA von Homo sapiens. Die Frage, wann sich moderne Menschen und Neandertaler kreuzten, konnte damit endlich beantwortet werden.

Wo kommen wir her, wo geht es hin? Diese Frage stellt sich die Menschheit seit Jahrtausenden. Je nach Veranlagung kann man sie philosophisch, psychologisch, biologisch oder auch ganz persönlich beantworten. Aus Sicht der Biowissenschaften ist Veranlagung aber wohl das entscheidende Wort: Denn unser Erbgut verrät uns, wie sich die Menschheit entwickelt hat – und gibt gleichzeitig Hinweise auf unsere Zukunft, beispielsweise den Kampf gegen erblich bedingte Krankheiten.

Die Forschung beschäftigt sich daher seit Jahrzehnten intensiv mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Thüringen spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Den Bauplan des Menschen entziffern: ein Meilenstein mit Thüringer Beteiligung

Das Genom – die Gesamtheit aller Erbinformationen einer Zelle, also das Erbgut – des Menschen zu entschlüsseln, war eine Mammutaufgabe, an der Forschende aus aller Welt arbeiteten. Insgesamt 20 Forschungsinstitute waren am Human-Genom-Projekt (Human Genome Project) beteiligt, das bis 2003 den größten Teil des menschlichen Erbguts entzifferte. Darunter auch das Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena.

Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI)

Das FLI in Jena ist eine international anerkannte Forschungseinrichtung, die nicht nur an der Entschlüsselung zentraler Genomabschnitte beteiligt war, sondern vorrangig den biologischen Ursachen des Alterungsprozesses nachgeht. Hier untersuchen renommierte Wissenschaftler aus aller Welt die molekulare und genetische Grundlage des Alterns bei verschiedenen Arten, von Fadenwürmern bis hin zu Fischen, Mäusen und Menschen. Ihr Ziel ist es, neue Therapien und Strategien zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit und zur Bekämpfung altersbedingter Krankheiten zu identifizieren. Durch die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern und der Universität Jena kann das FLI einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung unseres Verständnisses des Alterns leisten und zu einer gesünderen und längeren Lebenszeit beitragen.

 

 

Die dortigen Wissenschaftler feierten im Jahr 2000 einen riesigen Erfolg: Gemeinsam mit Kollegen aus Deutschland und Japan analysierten sie erstmals umfassend das Chromosom 21, das bei einer Mutation Trisomie 21 (Down-Syndrom) hervorruft. Fünf Jahre später entschlüsselten die Forscher das X-Chromosom, das gemeinsame Geschlechtschromosom von Frau und Mann, das besonders häufig von Defekten betroffen ist. Dank dieser Meilensteine lassen sich viele Erbkrankheiten eingehender erforschen – was die Aussicht auf zukünftige Gentherapien deutlich erhöht.

2003 wurde das Human-Genom-Projekt beendet, der größte Teil des menschlichen Erbguts war untersucht. Mithilfe neuer Technologien wurde aber in den Folgejahren weltweit weitergeforscht. Mit Erfolg: Seit 2022 gilt das menschliche Genom als vollständig entschlüsselt.

Eine Reise in die Vergangenheit des Menschen: das älteste Genom von Homo sapiens

In Thüringen wird aber nicht nur am menschlichen Erbgut geforscht – im Freistaat befinden sich auch archäologische Fundorte, die entscheidend zur Lösung eines weiteren wissenschaftlichen Rätsels beitrugen.

In der Ilsenhöhle bei Ranis im Saale-Orla-Kreis wurden zwischen 2016 und 2022 etwa 45.000 Jahre alte Menschenknochen entdeckt, aus denen Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der University of California in Berkeley, USA, das älteste Genom des modernen Menschen (Homo sapiens) entschlüsseln konnten. Die Knochenfragmente stammen von mindestens sechs Individuen, darunter eine Mutter mit ihrer Tochter.

In der Ilsenhöhle bei Ranis haben Forscher Knochen gefunden, aus denen menschliche DNA sequenziert werden konnte.

Ilsenhöhle bei Ranis

In der Ilsenhöhle bei Ranis haben Forscher Knochen gefunden, aus denen menschliche DNA sequenziert werden konnte.
 

Ein Land voller Zeitalter

Der anschließende Vergleich mit heutiger menschlicher DNA lieferte völlig neue Erkenntnisse: So fand die Vermischung des modernen Menschen mit den Neandertalern vor etwa 45.000 bis 49.000 Jahren statt – deutlich später als bisher angenommen. Dass es eine Vermischung gab, stand bereits fest, denn bis heute tragen alle Menschen außerhalb von Afrika Neandertaler-Gene in sich.

Bei den Bewohnern der Ilsenhöhle handelte es sich um einige der frühesten modernen Menschen, die Europa erreichten. Die Höhle selbst wurde vor etwa 47.500 Jahren besiedelt. Die dortigen Ausgrabungen haben bestätigt, dass Thüringen ein bedeutender Fundort der Frühgeschichte ist – und damit ein Schlüsselort der Menschheitsgeschichte.