
Die Steinrinne Bilzingsleben: Die ersten Thüringer und wie sie lebten
Das am Nordrand des Thüringer Beckens gelegene Bilzingsleben zählt zu den bedeutendsten altpaläolithischen Fundstellen Europas. Der Fundort liefert einzigartige Einblicke in das Leben unserer frühen Vorfahren. In der Steinrinne Bilzingsleben erleben die Besucher Menschheitsgeschichte genau dort, wo sie geschrieben wurde.
Vor etwa 350.000 Jahren lebte hier der Homo erectus, dessen menschliche Überreste neben zahlreichen Steinwerkzeugen und Tierknochen entdeckt wurden. Die Funde ermöglichen detaillierte Rekonstruktionen von Kultur und Umwelt des frühen Menschen. Der Paläogenetiker Prof. Dr. Johannes Krause hat den Archäozoologen Enrico Brühl getroffen – gemeinsam nehmen sie uns mit in die Vergangenheit von Bilzingsleben.
Die Steinrinne von Bilzingsleben: ein Fenster in das Leben des Homo erectus
Die Steinrinne Bilzingsleben im nördlichen Thüringen ist in jeder Hinsicht eine außergewöhnliche Fundstätte. Hier wurden 37 menschliche Knochenfragmente von mindestens vier Individuen gefunden. Das Besondere: ihr Alter von ca. 375.000 Jahren. Damit gehören die Knochen, die man dem Homo erectus zuordnet, zu den ältesten menschlichen Funden in Mittel- und Nordwesteuropa überhaupt.
Außergewöhnlich ist auch die Vielzahl weiterer Relikte, die in der Steinrinne die Jahrtausende erstaunlich gut überdauert haben. Fast 150.000 Werkzeuge und andere Artefakte aus Feuerstein, Knochen, Horn und Holz hat die von Enrico Brühl geleitete Fundstelle bis heute preisgegeben. Darunter auch Überreste von einfachen Hütten.
Diese Fülle an Fundstücken ermöglicht es der Wissenschaft, sich ein sehr genaues Bild vom alltäglichen Leben des Urmenschen zu machen. So konnte rekonstruiert werden, was er aß und wie er die Nahrung zubereitete, welche Tiere und Pflanzen es im damaligen Thüringen gab und wie die ersten Thüringer ihre Werkzeuge herstellten.
Fünf Knochen, eine Sensation
Herausragend, vielleicht sogar sensationell ist auch der Fund von fünf Knochen, in die auffällige Muster geritzt wurden. Und das offensichtlich ganz bewusst. Somit könnten die Knochen und Muster der älteste Nachweis für die graphische Umsetzung eines menschlichen Gedankens sein.
Zu den Besonderheiten gehört aber auch, dass die Fundstücke nicht in irgendeinem Museum zu sehen sind – die Fundstätte selbst ist das Museum. So können Besucher direkt dort, wo der Homo erectus bilzingslebenensis gelebt hat, in die Welt von vor 375.000 Jahren eintauchen. Zusammen mit einer spektakulären multimedialen Begleitung entsteht so ein außergewöhnliches Erlebnis, das man in dieser Form nur in Thüringen haben kann. Und für das rund 6.000 Besucher pro Jahr nach Bilzingsleben kommen.
Auf den Spuren der ersten Thüringer
Prof. Dr. Johannes Krause und Enrico Brühl nehmen uns mit durch die Steinrinne Bilzingsleben und zeigen uns, wie die ersten Thüringer lebten.
Enrico Brühl
Zunächst sah es so aus, als ob Enrico Brühl sein Studium der Archäologie der römischen Antike widmen würde. Doch mit der Arbeit als wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Dietrich Mania, dem Entdecker des Siedlungsplatzes Bilzingsleben und langjährigen Leiter der Fundstelle, änderten sich seine Pläne. Enrico Brühl entwickelte ein Interesse an der Ur- und Steinzeit und spezialisierte sich zum Archäozoologen. Als solcher untersucht er, wie der Urmensch die Tierwelt nutzte. Es folgten rund 20 Jahre Feldarchäologie, bevor das Angebot zur Leitung der Steinrinne Bilzingsleben kam. Das war 2012. Seitdem bringt Enrico Brühl den Besuchern das Leben des Homo erectus bilzingslebenensis näher.
Prof. Dr. Johannes Krause
Es ist kein Wunder, dass der gebürtige Leinefelder Prof. Dr. Johannes Krause schon früh seine Leidenschaft für die Archäologie entdeckte. Denn aus dem gleichen Ort stammt Johann Carl Fuhlrott, der Entdecker des Neandertalers. Neben der Archäologie gehört Prof. Dr. Krauses Leidenschaft der Genetik. Im Rahmen seiner Doktorarbeit konnte er beide Leidenschaften verbinden und promovierte bei Svante Pääbo, dem Begründer der Paläogenetik. Heute ist Prof. Dr. Krause, der eine eigene Urmenschgattung entdeckte und wegweisende Forschungsergebnisse zur mittelalterlichen Pest lieferte, Direktor am Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie. Der Bestseller-Sachbuchautor ist ein gern gesehener Talkshowgast, der auch ein breites Publikum für die Archäologie begeistern kann.