
Brunnenkresse aus Erfurt: Superfood in sechster Generation
Eine leicht scharfe Note, Senfaromen, Blätter zart wie Feldsalat: Die Brunnen- oder Wasserkresse ist die große Schwester der Gartenkresse und wird in Erfurt seit Jahrhunderten angebaut. Schon Napoleon schmeckte die gesunde Delikatesse bei einem Besuch in Erfurt 1808 so gut, dass er zwei einheimische Gärtner mit nach Versailles nahm, um Brunnenkresse auch in Frankreich zu kultivieren. In Erfurt selbst führt heute Familie Fischer die Tradition des Brunnenkresse-Anbaus fort – und knüpft damit an die bis heute lebendige Geschichte der Gartenstadt Erfurt an.
Grün, gesund, glücklich: Gartenstadt Erfurt
Nicht nur ist Erfurt laut einer aktuellen Umfrage die zweitglücklichste Stadt Deutschlands, es gilt auch als Stadt mit grünem Daumen – die „Blumenstadt“ ist geprägt von einer langen Geschichte des Gartenbaus und der Pflanzenzucht, die bis heute zu ihrem besonderen Flair beiträgt. Schon im Mittelalter boten fruchtbare Böden und ein günstiges Klima die Bedingungen für den Anbau von Kräutern, Wein und vor allem von Waid, aus dem wertvolles Blaufärbemittel gewonnen wurde.
Besonderen Einfluss auf die Stadt aber hatte Ratsmeister Christian Reichart (1685–1775), der Pionier des modernen Gartenbaus. Er förderte den intensiven Gemüseanbau und die Samenzucht, für die Erfurt in der ganzen Welt bekannt wurde. Und: Er legte den Grundstein für den systematischen Anbau der Brunnenkresse.
Brunnenkresse aus Erfurt: vom Wildgemüse zum Exportschlager
Seit 1630 wird in Erfurt nachweislich Brunnenkresse gesammelt, ein Wildgemüse, das sich an kleinen Bachläufen und auf Überschwemmungswiesen findet. Reichart ließ im Westen Erfurts künstliche Wasserläufe anlegen und machte die Stadt zum Zentrum des deutschen Brunnenkresse-Anbaus. Ein Dutzend Gärtnerfamilien betrieb das lukrative Geschäft.
Zu Spitzenzeiten, 1962, wurden von Erfurt aus 44 Tonnen der empfindlichen Brunnenkresse gut gekühlt auf Eis in deutsche Städte und in die Welt hinausgeschickt. 1976 war damit Schluss: Viele Brunnenkresse-Betriebe wurden verstaatlicht und die Produktion in Erfurt schließlich eingestellt. Auch der Brunnenkresse-Anbau von Familie Fischer lag bis in die 1990er-Jahre brach – bis Ralf Fischer den Anbau wieder aufnahm.
Altes Wissen genutzt: Brunnenkresse-Anbau über sechs Generationen
Erst als Ralf Fischer nach Jahren der Vernachlässigung begann, die Brunnenkresse-Anbaufläche – eine sogenannte Klinge – seiner Eltern aufzuräumen, wurde ihm klar, wie viel sie seinen Eltern noch bedeutete: Seine Mutter packte spontan mit an, sein Vater ermutigte ihn, wieder mit dem Anbau anzufangen. Das Gärtnerwissen war noch nicht verloren gegangen. In den folgenden Jahren steckten Ralf und seine Frau Karola viel Zeit und Energie in das Projekt Brunnenkresse – mit Erfolg. Heute fließt wieder reines Erfurter Quellwasser durch das 40 bis 60 Zentimeter tiefe Wasserbecken, mit einer konstanten Temperatur von etwa 11 Grad, die Brunnenkresse mag es beständig.
Über die Nachfolge muss sich Ralf Fischer auch keine Sorgen machen: Der Sohn der Nachbarn, Max Kaufhold, ist schon seit seiner Kindheit am Brunnenkresse-Anbau interessiert. Der angehende Lehrer will in Zukunft wie Fischer die Klinge als Nebenerwerb fortführen, damit in mittlerweile sechster Generation. Dabei geht es nicht nur ums Wirtschaften, sondern auch um den Erhalt von Tradition und die Weitergabe von Wissen.
Die Mühe lohnt sich: traditionell angebautes Superfood als Erfurter Markenzeichen
Zucht, Pflege und Ernte der Brunnenkresse sind mühsam. Daran hat sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts nichts geändert: Geerntet wird von September bis April, und das von Hand. Dafür kniet Ralf Fischer auf einem wackeligen sogenannten Schneidebrett, die Hände permanent im kalten Wasser, und schneidet mit einem Messer die Kressebüschel ab.
Als ob sie die harte Arbeit wiedergutmachen wollte, bietet die Brunnenkresse dafür jede Menge Nährstoffe, von Vitamin C bis Eisen und Kalzium – ein wahres Kraftpaket und laut einem Forschungsteam an der William Paterson University in New Jersey eins der gesündesten Lebensmittel der Welt. Und eins, das mittlerweile wieder zum Markenzeichen von Erfurt wird.
Familie Fischer verkauft die Brunnenkresse nicht nur in ihrem eigenen kleinen Laden direkt an der Klinge, sondern exportiert sie manchmal auch wie einst über die Landesgrenzen Thüringens hinweg. Sogar dem britischen König haben sie das Superfood schon auf den Teller geliefert, bei einem Staatsbesuch im Schloss Bellevue.
In Erfurt selbst gibt es außerdem neben den Fischers den Kressepark im Süden der Stadt. Zwar gilt die landwirtschaftliche Nutzung hier vor allem der Veranschaulichung des Kresseanbaus, doch vertreibt der Park auch eigene Erzeugnisse von Brunnenkressepasta bis hin zu Kresselimonade und -seife. Die Brunnenkresse ist damit erneut zur lokalen Berühmtheit aufgestiegen – wem es also nach der ansonsten in Deutschland kaum kultivierten Delikatesse gelüstet, der kann sich bei einem Besuch in Erfurt an einer Portion „Vitamin Grün“ erfreuen.
Erfurter Brunnenkresse
Frische Brunnenkresse gibt es direkt an der Klinge der Fischers zu kaufen. Ralf Fischer hat außerdem ein Buch über die Pflanze und ihre Geschichte geschrieben: „Brunnenkresse – Gesunde Erfurter Delikatesse“ (2017). Mehr dazu finden Sie auf der Website von Familie Fischer.
Produkte mit Erfurter Brunnenkresse können unter anderem im Laden Erfurt MITTE oder im Hofladen des Kresseparks gekauft oder bestellt werden.