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Thüringen von oben mit Toni Eggert.

Das Stillsitzen zählt nicht zu seinen Lieblingsdisziplinen. Viel lieber rast Toni Eggert auf seinem Schlitten durch die Eisbahn. Oder er geht in die Luft – als Pilot und Kunstflieger.

Dabei schlagen zwei Seelen in seiner Brust. Bei aller Lust, Grenzen auszuloten, ist der 33-Jährige jemand, der Risiken realistisch einschätzt und so Gefahren auf ein Minimum reduziert. Ganz anders als die Laune an Bord seiner Cessna: die steigt mit jedem Höhenmeter bis zum Maximum.
Wir sind eine Runde mit ihm über seine Heimat Thüringen geflogen. Dabei zeigte sich der Freistaat von seiner schönsten Seite: barocke Bauten, lebendige Städte und sattgrüne Hügel. Dieser Vogelperspektive folgten weitere spannende Einblicke – beim Interview mit einem Bodenständigen, der sich in der Luft zu Hause fühlt. Ein Gespräch über Leistungssport, Luftfahrt und die Lust am Risiko.

Vom Fliegen träumen viele. Was hat dich dazu bewogen, diesen Traum für dich wahr zu machen?
Laut meinen Eltern habe ich schon als kleiner Junge gesagt, dass ich mal fliegen will. Mit 14 hatte ich immerhin mein erstes Modellflugzeug. Mit 21 hab ich dann ­– als Ausgleich zum Sport – meine Ultraleichtfluglizenz gemacht. Heimlich, denn meine Eltern haben Angst vorm Fliegen (lacht). Das war eine wilde Zeit: tagsüber Training, abends Flugstunden in Crawinkel, zurück in die Sportkaserne nach Oberhof, nachts am Schlitten gebastelt. So sahen meine Tage damals aus.

Als Passagier: Wann saßt Du das erste Mal in einem Flugzeug? Und wohin ging die Reise?
Puuh, da muss ich nachdenken… Ich glaube, das war Gran Canaria. Als Kind mit meinen Eltern.

Wann bist Du das erste Mal selbst geflogen, wie lange und wohin? 
Zu den Flugstunden in Crawinkel bin ich über meinen ehemaligen Mechaniker gekommen. Ich wollte mich dort eigentlich erstmal nur erkundigen – und hatte schon an Tag eins meinen ersten begleiteten Flug absolviert. Geholfen hat da sicherlich auch, dass ich durch das Koordinationstraining fürs Rodeln ein bisschen Gefühl im Hintern habe (lacht). Seitdem wollte ich immer und immer wieder fliegen.

Welche Flugzeuge darfst du fliegen? Und welches Flugzeug würdest du gern einmal fliegen? 
Ich habe eine PPL, die Lizenz für Privatpiloten. Ein paar Berechtigungen fehlen mir dann doch zum A380 (lacht). Aber 2018 durfte ich zu den Olympischen Spielen von Frankfurt nach Seoul auf dem dritten Sitz im Cockpit mitfliegen. Hintergrund war, dass ich die Mitnahme meines Schlittens im Handgepäck direkt mit dem Kapitän klären musste. Der hat mich gegoogelt und prompt ins Cockpit eingeladen. Das war ein einmaliges Erlebnis, beindruckende Technik!

Was ist schwieriger beim Kunstfliegen: die technische Finesse am Steuer oder das Überwinden der Angst?
Angst habe ich keine, deshalb kann ich dazu nichts sagen. Das Schwierige beim Kunstfliegen ist, in jeder Lage die Orientierung zu behalten und deinen Körper unter Kontrolle zu haben, sodass du nicht bewusstlos wirst. Das kommt bei Passagieren durchaus mal vor. Es wirken ja starke Kräfte auf den Körper. Man ist geistig und koordinativ sehr gefordert, aber auch körperlich.

Wie viele Stunden im Jahr bist du in der Luft?
Dieses Jahr werden es etwa 150 Stunden sein.

Warum ist Thüringen von oben so schön? Und wo ganz besonders?
Der Thüringer Wald ist für mich aus der Luft betrachtet immer wieder beeindruckend. Diese riesige Waldfläche, die Stauseen darin eingebettet. Der Wald hält auch oft das schlechte Wetter vom Thüringer Becken ab, was fliegerisch spannend ist. Okay, Oberhof mit der Rodelbahn natürlich auch (lacht). Der Erfurter Flughafen bietet eine schöne Infrastruktur, auch für kleine Flieger.

Gibt es so etwas wie eine Thüringer Fliegerszene? Kennt man sich untereinander?
Auf jeden Fall. In der Thüringer Fliegerszene kennt jeder jeden: Flieger, Fluglehrer, Flugplatzleiter, die Menschen von der Luftfahrtbehörde. Hier sind alle miteinander vernetzt. Es gibt hier so viele Flugplätze, dass ich sie gar nicht alle nennen kann. Toll!

Gibt es Parallelen zwischen dem Rodeln und dem Fliegen?
Ja, sicherlich. Beides ist mit enormen G-Kräften und Geschwindigkeiten verbunden. Aerodynamik spielt eine Rolle, auch die Koordination. Beides sind sicherlich Extremsportarten.

Und wo fließt mehr Adrenalin in deinen Adern?
Beim Rodeln. Beim Fliegen geht man nie an Grenzen, wo es gefährlich wird. Es gibt immer Sicherheitsreserven und einen Plan B, z. B. genügend Flughöhe, um Fehler in einer Figur abzufangen. Beim Rodeln gehen wir derart ans Limit, dass man Fehler kaum ausgleichen kann. Und das mit 120 km/h und ohne viel Schutzkleidung.

„Alles, was das Fliegen betrifft, begeistert mich maßlos."

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Einfach „nur fliegen“ reicht dir nicht. Wie wird man vom Piloten zum Kunstflieger?
Alles, was das Fliegen betrifft, begeistert mich maßlos. Für die Hochzeit meines ebenfalls flugzeugbegeisterten Bruders organisierte ich eine Flugshow-Einlage mit einer Jak-52, einem wunderschönen Oldie mit Sternmotor und tollem Sound! Das war unglaublich cool, die Hochzeitsgäste staunten nicht schlecht – und ich wusste: Sowas will ich auch machen! Ein paar Wochen später habe ich dann meine Kunstflugberechtigung gemacht – und zwar auf genau so einer Jak-52. Ein Traum!

Rodeln ist also gefährlicher als Fliegen?
Ja, definitiv. Das würde ich zu 100 Prozent unterschreiben.

Du entwickelst und optimierst deinen Schlitten größtenteils selbst. Hast du einen handwerklichen Beruf erlernt?
Nein, das ist alles Learning by Doing. Aber meinem Vater, der Zimmermeister ist, hab ich oft über die Schulter geschaut. Das hilft schon, die Grundtechniken des Werkens zu verstehen, ein Materialgefühl zu entwickeln. Im Modellflugzeugbau habe ich auch viel gelernt, das ich im Schlittenbau anwenden kann, z. B. das Arbeiten mit Epoxidharzen.

Würdest du auch gern am Flugzeug basteln?
Tatsächlich ist es mein Plan, nach meiner Karriere eine Ausbildung zum Flugzeuggerätemechaniker zu machen und bei mir zu Hause eine Werft zu eröffnen.

Mittlerweile fliegen Privatpersonen ins Weltall. Würde Dich ein Trip ins All reizen?
Ich finde unglaublich interessant, was im Weltall alles passiert. Aber ich habe überhaupt kein Interesse, ins All zu fliegen. Flugzeugfliegen ist unglaublich sicher, Weltraummissionen sind das eher nicht so. Und ich habe keine Lust, für einen schönen Ausblick aus dem Weltraum mein Leben zu riskieren.

Zum Schluss: Schon mal heimlich ohne Gurt geflogen?
Ganz ehrlich? (lacht) Nein. Es gibt Sachen, die gehören einfach dazu. Disziplin ist beim Fliegen einfach extrem wichtig. Und dazu zählt auch das Anlegen des Gurtes.

"Rodeln ist definitiv gefährlicher als Fliegen."

Veröffentlicht am:
08.12.2021