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Mehrere Zuckerrüben mit geschnitzten Gesichtern, die von innen erleuchtet sind.
Halloween in Thüringen? Nur mit geschnitzten Rüben!

Von Strohbären und Rübengeistern – die Bräuche Thüringens.

Bräuche sind lebendige Zeugnisse der Geschichte und Kultur einer Region. Sie verbinden Menschen, schaffen Gemeinschaft und geben Einblicke in alte Glaubensvorstellungen und Lebensweisen – so auch in Thüringen. Hier haben sich zahlreiche solcher Traditionen erhalten, die bis heute mit viel Engagement gepflegt und gefeiert werden. Dabei spiegeln sie nicht nur den Jahresverlauf und festliche Anlässe wider, sondern auch den Umgang mit Natur und Gemeinschaft.

Im Freistaat sind Bräuche und Traditionen ein wesentlicher Bestandteil kultureller Identität und prägen das gesellschaftliche Leben vieler Regionen. Von diversen Volksfesten, wie etwa der Kirmes, über Osterbräuche bis hin zu Sankt Martin und Weihnachten – Feste, Rituale und Traditionen ziehen sich durch den Kalender. Zu den besonders lebendigen und einzigartigen Bräuchen zählen der „Strohbär“, die „Rübengeister“ und die „Bornfege“. Sie stehen beispielhaft für die Vielfalt des Thüringer Brauchtums.

Stroh, Spaß und Tradition: der Gang des Strohbären als Höhepunkt der Fastnacht

Es ist keine ausschließlich Thüringer Tradition, aber eine, die im Freistaat in zahlreichen Gemeinden praktiziert wird – der Strohbär. Zu diversen Festen des Jahres werden Umzüge vom Strohbären begleitet. Traditionell ist die Figur aber eng mit der Faschingszeit verbunden und wird vor allem in den Tagen vor dem Karneval zum Leben erweckt. Der Brauch ist fest im kirchlichen Jahreskreis verankert und markiert den Beginn der Fastenzeit.  

Der Strohbär nimmt im Faschingsumzug eine zentrale Rolle ein und wird als Inbegriff des Narren gesehen, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht und besonders junge Mädchen und Frauen neckt. Traditionell wird er von einem Strohbärentreiber mit Frack und Zylinder durch den Ort geführt. Ursprünglich könnte der Brauch auf die Zirkusbären zurückgehen, die einst an Seilen durch die Dörfer geführt wurden.  

Hinter dem Bären verbirgt sich eine Person in einem selbstgemachten Kostüm aus Stroh. Das Kostüm wird aus Ernteprodukten wie Weizen oder Futtererbsenstroh gebunden, so dass der Strohbär vereinzelt auch Erbsenbär genannt wird. Dieses Binden wurde mit der Zeit durch den Wandel der Landwirtschaft und die neuen Erntemethoden zunehmend erschwert, da kaum noch ausreichend lange Halme übrigblieben. In vielen Bundesländern lief der Brauch des Strohbären so über die Jahre aus – nicht aber in Thüringen. Am Ende des Umzuges wird das verschwitzte Strohkostüm traditionsgemäß verbrannt. 

  • Eine Nahaufnahme einer Zuckerrübe, die gerade ausgehüllt wird. Vorne ist ähnlich eines Halloweenkürbis ein Gesicht eingeschnitzt. Der Inhalt der Rübe ist auf dem Tisch verteilt.
    Mühsam werden die Rüben ausgehüllt und geschnitzt.
  • Zwei fertig geschnitzte Rüben stehen auf einem Tisch. Teelichter erleuchten ihre geschnitzten Fratzen.
    Schaurige Fratzen aus Rüben leuchten am 31. Oktober in Thüringen.

Schaurige Rübengeister und uriges Herbstleuchten: der „Rübebotz“

Ausgehöhlte Früchte, in die schaurige Fratzen geschnitzt wurden, darin Kerzen, die für schummriges Licht sorgen: Was nach Halloween klingt, heißt in einigen Regionen Thüringens „Rübebotz“ und hat eine jahrhundertealte Tradition – zum Beispiel im Wartburgkreis und rund um Schmalkalden-Meiningen. 

Zwei Dinge unterscheidet die Thüringer Version vom mittlerweile in vielen Gegenden der Welt verbreiteten Brauchtums Halloween: Zum einen werden Rüben statt Kürbisse ausgehöhlt, zum anderen werden die geschnitzten Rübengeister nicht vor das eigene Haus gestellt, sondern bei Freunden und Bekannten platziert. Die Rübengeister sind in Thüringen namensgebend für das „Rübebotz“-Fest und ein traditioneller Herbstbrauch.  

Der Brauch findet rund um Allerheiligen, also Ende Oktober und Anfang November, statt. Die Kinder ziehen dabei von Haus zu Haus, sagen Sprüche auf und sammeln Süßigkeiten – ein Ritual, das dem amerikanischen Halloween ähnelt, aber auf eine lange Thüringer Tradition zurückblickt. Denn die Kinder verkleiden sich hierbei in der Regel nicht. Einen Beutel voll mit Leckereien gibt es aber trotzdem! 

Ein Mann steht auf einer Dorfstraße und hält ein Schild hoch mit der Aufschrift: „Weinprobe anno 1850“. Im Hintergrund stehen Schaulustige, während ein Traktor mit einem geschmückten Festanhänger vorbeifährt. Auf einem Schild am Anhänger steht „Beutnitzer Weinprobe anno 1850“. Der Festumzug findet nach der Bornfege in Golmsdorf-Beutnitz-Neura statt.
Nach der „Bornfege“ in Golmsdorf-Beutnitz-Naura gibt es den feierlichen Festumzug.

Die Ursprünge des Rübengeisterns sind nicht eindeutig geklärt. Es wird vermutet, dass der Brauch auf Licht- und Erntedanktraditionen zurückgeht und möglicherweise auch mit Formen des Bettelns aus dem Ersten Weltkrieg zusammenhängt, als Kinder mit ausgehöhlten Rüben von Haus zu Haus zogen, um Essen zu erbitten. Heute steht der „Rübebotz“ für die Verbindung von Herbst, Ernte und Gemeinschaft und wird in vielen Gemeinden Thüringens als lebendiges Kulturgut erhalten.  

Von der Brunnenreinigung zum Dorffest: die „Bornfege“ als Symbol für Gemeinschaft

Im Jahr 1703, als kriegerische Auseinandersetzungen und Krankheiten wie die Pest das Land beutelten und Armut und Schmutz den Menschen zusetzten, ordnete Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha-Altenburg an, dass alle Brunnen regelmäßig gereinigt werden sollten – eine weitsichtige Hygienemaßnahme, um Krankheiten vorzubeugen.  

So versammelten sich die Menschen am Wochenende nach Pfingsten, um gemeinsam ihre Dorfbrunnen zu reinigen – die „Bornfege“ war geboren. Der Begriff setzt sich aus den mittelhochdeutschen Wörtern „Born“ (Brunnen) und „fege“ (reinigen) zusammen. Nach getaner Arbeit kamen die Dorfbewohner zusammen, um gemeinsam zu feiern, oft begleitet von selbstgemachtem Wein und geselligem Beisammensein. 

Mit der Zeit entwickelte sich aus der gemeinschaftlichen Brunnenreinigung ein festlicher Akt – bis heute. Denn auch nachdem die zentralen Wasserversorgungen eingeführt wurden, blieb die „Bornfege“ als Brauch erhalten und wuchs in vielen Orten nach und nach zu einem großen Dorffest heran. 

In Golmsdorf nahe Jena steht der Brauch auch heute noch für Gemeinschaftssinn, Pflege von Traditionen und die Verbundenheit mit der Geschichte des Ortes. Unter der Federführung des 1992 gegründeten Bornfegevereins e.V. Golmsdorf-Beutnitz-Naura ist die „Bornfege“ heute eine mehrtägige Veranstaltung mit jeder Menge Musik, Tanz und Spaß für die ganze Familie.