Strohballen und Gipsrecycling: Nachhaltig bauen in Thüringen
Ob Nutzung lokaler Ressourcen, effizienteres Recycling von Baustoffen oder Kreislaufwirtschaft – an der Zukunft des Bauens wird intensiv geforscht. Und das ist bitter nötig, denn der Sektor Bauen und Gebäudewirtschaft verursacht rund 37 Prozent der globalen Treibhausgase. Ein großer Teil davon entsteht zwar durch den Energieverbrauch in fertigen Gebäuden, aber auch die Baumaterialien sind relevant. Daher lohnt es sich, beim Bauen und Wohnen ganz besonders über das Thema Nachhaltigkeit nachzudenken. Thüringen nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein; seit 2016 unterstützt das Land massiv die Forschung zum nachhaltigen Bauen.
Wie nachhaltiges Bauen konkret aussehen kann, zeigen drei Architekten, die ihr Wohnhaus aus Stroh errichtet haben. Im Weimarer Ortsteil Ehringsdorf leben zehn Erwachsene und 15 Kinder in einem ökologischen Wohnprojekt, dessen Wohnhaus aus übereinandergestapelten Strohballen besteht. Alexandra Schenker-Primus und Sarah und Florian Hoppe, die mit ihren Familien im Strohballen-Haus wohnen, lernten sich während des Architekturstudiums in Weimar kennen und betreiben heute gemeinsam ein Architekturbüro. Für sie war klar: wenn Bauen, dann nur so, dass es für die Nachwelt unbedenklich ist.
“Konkurrenzlos regional”: Bauen aus Stroh, Holz und Lehm
Weniger ist im Strohhaus mehr: So gibt es beispielsweise keine Folien in den Wänden, stattdessen dient der Lehmputz als winddichte Ebene. Das Strohballenhaus kommt darüber hinaus ohne Heizung aus. Ein kleiner Ofen sorgt für einen warmen Wohnraum, ansonsten nutzt das Haus die älteste Energiequelle der Welt: die Sonne. Der Grundriss des Hauses ist darauf ausgerichtet, passiv Sonnenenergie einzufangen. Das bedeutet unter anderem große verglaste Fronten zur Südseite und nur kleine Öffnungen zum Norden. Um die städtebaulichen Vorgaben einzuhalten, mussten die Architekten kreativ werden.
Nicht nur für sich selbst, auch für andere – beispielsweise für die Altenpflegeschule Holzdorf – bauen die drei Architekten mit Stroh. Das ist nicht nur vom Material her klimafreundlich, sondern ermöglicht auch einen effizienten Rückbau und die Wiederbenutzung der Materialien. Ressourcenschonung endet eben nicht, wenn das Gebäude steht. „Wer nachhaltig wirtschaftet, bedenkt auch die Baufolgekosten“, sagt Florian Hoppe. Damit meint er auch die Klima- und Umweltschäden, die konventionelle Materialien verursachen.
Lokale und natürliche Ressourcen zu nutzen, hält auch Prof. Carsten Könke, Professor für Baustatik und Bauteilfestigkeit an der Bauhaus Universität Weimar und Leiter der Weimarer Materialforschungs- und prüfanstalt (MFPA), für einen relevanten Ansatz. Allerdings stoße dieser schnell an Grenzen: „Großprojekte wie Flughäfen, Tunnel oder Windenergieanlagen werden wir nicht aus Holz oder anderen Naturstoffen bauen“, sagt Könke. Daher forschen er und seine Kollegen am MFPA daran, die Herstellung von Baustoffen zu verbessern und ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Sie beschäftigen sich beispielsweise mit Gipsrecycling und Verfahren, die die Bedarfsmengen reduzieren.
Kompetenzschwerpunkt nachhaltiges Bauen: Spitzenforschung in Thüringen
Die MFPA ist in Thüringen auf ihrem Forschungsgebiet nicht allein. Mit dem F. A. Finger-Institut für Baustoffkunde, dem Thüringer Innovationszentrum Wertstoffe (ThIWert) an der Hochschule Nordhausen und dem Institut für Angewandte Bauforschung Weimar hat sich im Freistaat ein regelrechtes Kompetenzzentrum gebildet. Um ihr Know-how über den gesamten Lebenszyklus von Baustoffen, Bauteilen und Bauwerken besser zu bündeln, schlossen sich die Institutionen 2018 zur Thüringer Allianz für ressourcenschonendes und klimafreundliches Bauen zusammen.
„Gemeinsam können wir große Projekte angehen“, sagt Könke. Die Allianz hat beispielsweise ein Aus- und Weiterbildungskonzept im Bereich ressourcenschonendes Bauen entwickelt und vernetzt mithilfe einer Plattform unterschiedliche Interessen der Industrie, Bevölkerung und Behörden. Neben Forschungsinstitutionen sind auch verschiedene Unternehmen Partner der Allianz, darunter zum Beispiel der multinationale Baustoff-Produzent Knauf.
Innovation, Mut, Umdenken auf allen Ebenen: Die Zukunft des Bauens beginnt jetzt
Am Ende ist laut Könke eine Kombination aus Maßnahmen notwendig: Nutzung natürlicher Ressourcen, Recycling, Reduzierung der Bedarfsmengen, Leichtbauweisen, Kreislaufwirtschaft – also die Wiederverwertung von Baustoffen – und auch die Optimierung der Materialherstellung. Alexandra Schenker-Primus und Sarah und Florian Hoppe wünschen sich auch ein gesellschaftliches Umdenken. Denn eins steht fest: Das nachhaltige Bauen steht in Deutschland noch am Anfang, es braucht jetzt Mut und den Wissenstransfer von Forschung zu Praxis. Thüringen ist hier ganz vorn mit dabei: Im Sommer 2024 gab es grünes Licht für das neue Bundesforschungszentrum für klimaneutrales und ressourceneffizientes Bauen – mit Thüringen als Gründungsmitglied.
Veröffentlicht am:
30.09.2024