
Tradition mit Zukunft: das Tischlerhandwerk in Thüringen
Handwerk aus Leidenschaft: Tischler in Thüringen
Neben Handwerkskunst wie den berühmten Schwibbögen oder der Porzellanherstellung hat auch das Tischlerhandwerk in Thüringen Tradition – und das seit fast tausend Jahren. Über Jahrhunderte hinweg haben geschickte Handwerker das Bild von Städten und Dörfern geprägt, individuelle Möbelstücke geschaffen und Wohnräume gestaltet. Heute verbindet diese Zunft klassische Handwerkskunst mit modernen Techniken.
Meisterhaftes Handwerk aus Thüringen: Jens Zöllner und seine Tischlerei in Erfurt
EINZ30® und Mathias Scheffel: Kreative Tischlerkunst mit Thüringer Handschrift
Informationen zur Ausbildung im Tischlerhandwerk in Thüringen
Gerade in Thüringen, einem Bundesland mit reichem kulturellem Erbe, trägt das Tischlerhandwerk entscheidend dazu bei, Altes zu bewahren und Neues zu erschaffen. Bereits im Mittelalter entwickelten sich die ersten Thüringer Städte zu blühenden Zentren des Handwerks – darunter Tischler, die ab dem 13. und 14. Jahrhundert mit vielen anderen Gewerken das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben der Region prägten.
Heute hat das Tischlerhandwerk bei jungen Menschen mitunter einen schweren Stand – doch zwei Tischler aus Thüringen geben uns einen Einblick in ihren Arbeitsalltag und zeigen, wie attraktiv das Handwerk eigentlich ist.
Meisterhaftes Handwerk aus Thüringen: Jens Zöllner und seine Tischlerei in Erfurt
Er hat für die Anna Amalia Bibliothek gearbeitet und für das Schiller-Museum, er baut individuelle Designertische und Regale nach Maß – der Tischlermeister Jens Zöllner aus Erfurt ist ein Perfektionist. Weil man davon inzwischen auch in Lübeck und München gehört hat, ist der Thüringer in ganz Deutschland unterwegs. Schließlich hat er einen Standortvorteil: Erfurts Lage in der Mitte der Republik.
„Uns kommt die hervorragende Lage Erfurts in der Mitte Deutschlands zugute.“
Die Möbel-Tischlerei von Jens Zöllner am Stadtrand wirkt beinahe idyllisch an diesem heißen Sommermorgen. Das Sonnenlicht taucht alles in eine freundliche Atmosphäre, die Maschinen stehen still. Sommerloch? „Nein, keinesfalls“, sagt Zöllner, „meine Leute sind auf Außenterminen. Das Geschäft läuft sogar so gut, dass meine Kunden ab und an ein wenig warten müssen.“
Das war nicht immer so. Vor 20 Jahren, als Zöllner seinen Betrieb gründete, tat er es eher aus der Not heraus. „Damals gab es ein Überangebot an Tischlern, und als Meister eine Anstellung zu finden, war fast unmöglich.“ Inzwischen habe sich das total gedreht, die Nachfrage sei enorm, viele Thüringer Betriebe suchen Fachkräfte. Und so ist der Einmannbetrieb inzwischen gewachsen: Der Tischlermeister beschäftigt acht Angestellte, darunter drei Auszubildende.
Zöllner ist auf Ladenbau spezialisiert, tischlert Empfangstresen, Ladentheken, Regale. Ein Höhepunkt in seiner Laufbahn, sagt er, sei der Einbau von neuen Regalen in der weltberühmten Anna Amalia Bibliothek in Weimar gewesen, die nach einem Brand aufwendig renoviert werden musste.
Es blieb nicht der einzige Job, den er in der Geburtsstadt der Deutschen Klassik erledigte: 2020 hat Zöllner mit seinem Team die Arbeiten an dem neuen Museumsshop in Friedrich Schillers Wohnhaus abgeschlossen. Aber auch Privatleute kommen für maßgerechte Anfertigungen zu Zöllner. „Ich verstehe mich als Dienstleister“, sagt er, „der im Gespräch mit den Kunden genau herausarbeitet, was sie wollen und wirklich brauchen.“
Jens Zöllner über die Leidenschaft zu seinem Beruf
Zöllners guter Ruf reicht längst über die Grenzen Thüringens hinaus: „Auch wenn wir die meisten Aufträge im Freistaat haben, sind wir doch immer wieder in ganz Deutschland unterwegs, haben schon Jobs von Lübeck bis München erledigt. Dabei kommt uns die hervorragende Lage Erfurts in der Mitte Deutschlands zugute.“
„Mit seinen eigenen Händen geile Sachen herzustellen, das ist einfach eine tolle Erfahrung.“
Die Lage und Attraktivität der Thüringer Landeshauptstadt hilft ihm auch in anderer Hinsicht: „Ich weiß, dass viele Kollegen, vor allem in ländlichen Regionen, Probleme haben, Mitarbeiter zu finden, gerade Auszubildende. In Erfurt sieht das zum Glück anders aus.“ Ist der Beruf des Tischlers vielleicht nicht attraktiv genug für die Generation Z? „Ich weiß, dass für viele Jüngere das Handwerk nicht gerade sexy ist, aber das Gegenteil ist der Fall“, sagt Zöllner und in seinen Augen blitzt etwas auf.
Der Beruf des Tischlers habe einen etwas angestaubten Ruf, dabei sei er auch für technikaffine Menschen interessant, weil verstärkt moderne computergesteuerte Maschinen zum Einsatz kämen: „Die Zeiten von Meister Eder und Pumuckl sind vorbei.“ Tischler, so Zöllner weiter, sei ein attraktiver Beruf, der einen jeden Tag vor neue Herausforderungen stelle und viel Kreativität verlange.
Der Liebe und des Handwerks wegen: Thüringen als alte und neue Heimat
Einer, der sich vor vier Jahren diesen Herausforderungen stellte, ist Marcell Toth. Er kam aus der ungarischen Hauptstadt Budapest nach Thüringen, der Liebe wegen. Toth hatte eine Frau aus Deutschland kennengelernt, die seine große Leidenschaft teilte: Beachvolleyball. Die beiden beschlossen, sich ein gemeinsames Leben in Erfurt aufzubauen. Und Toth suchte einen Job, der ihn ausfüllte. In Ungarn hatte er Management studiert, aber Büroarbeit, das war nichts für ihn, das spürte er schnell. Und so bewarb er sich um eine Stelle als Lehrling bei Jens Zöllner.
Er wurde genommen und bekam 2018 seinen Gesellenbrief – „ein Glücksfall fürs Handwerk“, sagt Zöllner dazu und lächelt verschmitzt. Als Glücksfall für Toth stellte sich der Umzug nach Thüringen heraus. Auch wenn die Liebe nicht von Dauer war, ist Toth längst überzeugter Erfurter: „Ich arbeite in einem tollen Job, habe schnell Freunde und viele Möglichkeiten gefunden, etwas zu unternehmen, Sport zu machen, aktiv zu bleiben. Es ist wie eine zweite Heimat.“
Anders als für seinen Angestellten war für Jens Zöllner Thüringen immer schon sein Zuhause: Er wuchs in Arnstadt auf, rund 20 Kilometer südwestlich von Erfurt – ein Ort, zu dem er heute noch eine starke Verbindung hat. „Na klar komme ich oft nach Arnstadt“, sagt er, „hier leben Freunde und Familie. Außerdem ist Arnstadt die älteste Stadt Thüringens, hat einen wunderschönen historischen Stadtkern und ist das Tor zum Thüringer Wald.“
Dass man Jens Zöllner am Wochenende aber zumindest zu gewissen Zeiten häufiger in Erfurt als in Arnstadt antrifft, hat einen ganz besonderen Grund: Er ist glühender Fan von Borussia Dortmund und Mitglied des hiesigen Fanclubs, der sich an Spieltagen in einem Pub am Erfurter Hirschgarten trifft. Und für 90 Minuten liegt der Mittelpunkt von Zöllners Welt nicht in Thüringen – sondern in Nordrhein-Westfalen.
Einmal Thüringen, immer Thüringen – Jens Zöllner bleibt seiner Heimat treu
EINZ30® und Mathias Scheffel: kreative Tischlerkunst mit Thüringer Handschrift
Möbel, die mit ihren Maserungen und Rissen vom Leben im Thüringer Wald erzählen, Gebäck mit Früchten aus der Region und in Zukunft auch Übernachtungsmöglichkeiten in Zimmern mit selbsthergestelltem Interieur – Tischlermeister Mathias Scheffel hat eine Vision. Sie trägt den Namen EINZ30®.
Ausgezeichnete Idee: der Holzwerkhof EINZ30® im Erlbachtal
Inmitten des Thüringer Holzlandes, unweit von Gera, liegt der kleine Ort Kraftsdorf. Idyllisch schlängelt sich der Erlbach durchs Dorf, teils 200 Jahre alte, liebevoll restaurierte Fachwerkhäuser säumen die einzige Straße. Am Ortsrand befindet sich ein Hof, auf dem hinter alten Mauern neue Ideen entstehen – der Holzwerkhof EINZ30®. Er ist das Herzensprojekt von Mathias Scheffel, Thüringer und Tischler aus Leidenschaft.
„Für mich geht es darum, etwas zu schaffen, was emotional funktioniert und die Leute fürs Handwerk begeistert.“
Als Scheffel Weihnachten 2015 beschließt, seinen Traum eines Holzwerkhofs mit angeschlossenem Café und der Möglichkeit zum Übernachten in die Tat umzusetzen, hat er schon viele Jahre als Tischlermeister gearbeitet und Projekte im In- und Ausland realisiert. Nach und nach ist die Idee seines in der Region einzigartigen Projekts gereift, mit dem er die lange Tradition der Holzbearbeitung neu interpretiert.
2016 erhielt er für seine Geschäftsidee die Gründerprämie des Landes Thüringen und arbeitet seither beständig an der Verwirklichung seiner Vision. „Ich maße mir nicht an, etwas Neues zu machen“, sagt er. „Handwerk braucht keine Innovation, sondern eher eine Identität. Das ist für mich viel wichtiger, als dass ich meine Produkte auf einer modernen Maschine fertige – was dann als innovativ gilt. Für mich geht es darum, etwas zu schaffen, was emotional funktioniert, sei es nun ein Tisch oder ein Ort, der Energie ausstrahlt und die Leute fürs Handwerk begeistert.“
Massivholz mit Seele und zeitloser Qualität
Scheffels Möbelunikate sind stets aus Massivholz und auf Langlebigkeit ausgelegt. Damit sind sie auch ein Gegenentwurf zur derzeit herrschenden Wegwerfmentalität: „Wenn Kunden kommen und einen Tisch wollen, ist der nicht in einer Woche fertig. Erst muss die Idee reifen und wenn die steht, beginnt ein Prozess, der mindestens drei Monate dauert – dann haben die Leute ein Erbstück“, erklärt er.
„Nur so macht die Arbeit für mich Sinn. Für kurzlebige Möbel würde sich für die Kunden die Investition nicht lohnen und mir wäre meine Zeit zu schade.“ So aber guckt er nicht auf die Stunden, sondern optimiert den Tisch so lange, bis er perfekt ist – für die Kunden und für sich selbst.
Diesen Perfektionismus hegte er schon bei seinem Meisterstück, einem Tisch, der heute der Mittelpunkt des Familienlebens ist. Als seine Kinder noch kleiner waren, hatte er stets Sorge, dass sie mit Gabelzinken oder Messern den Tisch beschädigen könnten. Irgendwann habe er dann verstanden, dass gerade die Spuren des alltäglichen Lebens dem Tisch eine Geschichte geben, ihn zum Familientisch machen.
„Als meine Kinder vier und sechs Jahre alt waren, haben sie sich schon darüber unterhalten, wer später einmal diesen Tisch bekommt“, sagt Scheffel und lacht. „Mir ist wichtig, meinen Kindern beizubringen, was mit regionalen Ressourcen möglich ist. Wir haben so viel Holz vor der Haustür, das will ich ganz selbstverständlich nutzen.“
Matthias Scheffels Vision: regional, emotional, besonders
Zum Konzept seines Holzwerkhofs EINZ30® gehört die Einbindung regionaler Anbieter. „Das klappt super“, sagt Scheffel und führt neben der Zusammenarbeit mit Bauherren und Architekten vor Ort auch sein Café an. Hier liefert ein Kaffeeröster aus dem Netzwerk Thüringer Tischkultur den Kaffee, den Kuchen backt seine Frau. „Die Idee ist, dass das Café als Multiplikator funktioniert“, erklärt Scheffel.
Vor allem im Sommer können Einheimische und Ausflügler hier Kaffee und Kuchen in schönster Idylle genießen: Vom Hof führt ein 1870 erbauter kurzer Tunnel in ein kleines Tal mit einer Streuobstwiese. Zwischen uralten, knorrigen und jungen, kleinen Bäumen steht eine Tafel, die 30 Personen Platz bietet. „Es ist ein magischer Ort, der sehr viel Emotionalität ausstrahlt“, schwärmt Scheffel. „Hier können unsere Gäste zur Ruhe kommen, die Stille genießen und neue Energie tanken.“
„Hier kann man die Leute einfach ansprechen, dann läuft das. Es ist ein regionales Geben und Nehmen.“
Die Menschen, die auf den Hof kommen oder das Café besuchen, verstehen die Philosophie hinter Scheffels Projekt – dass es eben nicht nur darum geht, Möbel zu produzieren. Vielmehr ist das EINZ30® ein Ort der Kommunikation und des Austauschs, an dem alte Traditionen und neue Ideen zusammenfinden.
Holzwerkhof als Motor für Strukturentwicklung und Tourismus in Thüringen
So wie die Übernachtungsmöglichkeiten, die Scheffel künftig auf seinem Hof anbieten möchte. Erste Anfragen gibt es bereits, doch bis Zimmer vermietet werden können, braucht es noch ein wenig Zeit. Zunächst entsteht in Zusammenarbeit mit regionalen Partnern und aus regionalem Holz auf dem Hof ein neues Wirtschaftsgebäude, in dem auch Scheffels Werkstatt Platz finden wird.
Wer den Thüringer fragt, was er an seiner Heimat am meisten schätzt, dem erzählt er von der Kleinteiligkeit des hiesigen Lebens. Er meint die kurzen Wege, den direkten Kontakt. „Hier kann man die Leute einfach ansprechen, dann läuft das. Es ist ein regionales Geben und Nehmen.“
All das sind kleine Schritte bei der Verwirklichung seiner großen Vision: alten Wurzeln zu neuen Trieben zu verhelfen und damit ein regionaler Motor in der Strukturentwicklung seiner Heimat zu sein.












