
Die Tracht von Ruhla mit ihren farbenprächtigen roten Bändern
Tradition trifft Trend: Wie Thüringer Trachten Geschichten erzählen
In Thüringen sind Traditionen nicht nur Geschichte – sie sind lebendige Gegenwart. Besonders sichtbar wird das in den farbenfrohen Trachten, die heute vor allem bei feierlichen Anlässen getragen werden, zu Festen, Umzügen oder traditionellen Feiertagen. Trotzdem sind Trachten viel mehr als nur Sonntagskleidung: Jede Tracht erzählt eine Geschichte, spiegelt regionale Identität wider und verbindet Generationen.
Das Wort Tracht geht auf den althochdeutschen Begriff „traht“ zurück, der nichts anderes bedeutet als „tragen“. Bis ins 17. Jahrhundert war die Tracht eine Art Kleiderordnung: Die Landesfürsten gaben vor, was in ihrem Land getragen wurde. Die Tracht gab nicht nur Auskunft zur regionalen Herkunft des Trägers, sie regelte auch die Rangordnung der Stände. Die Art, wie man die Tracht trug, verriet den Familienstand oder sogar die finanziellen Verhältnisse.
Ob opulente Stickereien, feine Borten oder kunstvoll gebundene Hauben – Thüringer Trachten sind so vielfältig wie die Regionen des Freistaats selbst. Von Rhön bis ins Thüringer Vogtland, von der Goldenen Aue bis ins Eichsfeld: Jede Gegend hat ihre eigenen Muster, Farben und Besonderheiten. Oft erkennt man schon auf den ersten Blick, aus welchem Dorf oder welcher Region ein Trachtenträger stammt.
„Es gibt keine einheitliche Trachtenmode“, bestätigt auch Knut Kreuch, Präsident des Deutschen Trachtenverbands und Landesvorsitzender des Thüringer Landestrachtenverbands. Der Verband umfasst mehr als 90 Vereine mit rund 5.000 Mitgliedern. Thüringen prägt die deutsche Trachtenbewegung bis heute maßgeblich mit.
Thüringer Trachten: Tradition im Wandel
Eine Tracht ist alles andere als eine unveränderliche, traditionsreiche Form, sich zu kleiden – sie wandelt sich stetig und geht mit den Trends der Zeit. „Die Fortentwicklung zeigt zum Beispiel, dass Röcke mit der Zeit gerne etwas dünner und kürzer gemacht wurden oder sich die Vielzahl der schweren Unterröcke reduzierte. Es wurden leichtere Stoffe verwendet und die Tracht wurde insgesamt praktischer und moderner“, erklärt Kreuch.
„Der Grundgedanke der Trachtenbewegung ist: das Alte fortführen, aber dennoch nie stehenbleiben. “
Dabei wurde aber eine Tradition erhalten: Wird eine neue Tracht hergestellt, verwebt der Hersteller ein Stück Stoff der alten Tracht in die neue Kleidung. „Dies kann zum Beispiel das Band um den Rock sein oder auch das Einfassband am Mieder. Es symbolisiert den Grundgedanken der Trachtenbewegung: das Alte fortzuführen, aber dennoch nie stehen zu bleiben“, so der Präsident des Deutschen Trachtenverbands.
Bis heute erhalten bleiben dabei auch die traditionellen Basis-Bestandteile in einer Tracht: Frauen tragen eine hochgeschlossene Bluse, einen Rock mit Schürze und Mieder und zeigen kein nacktes Bein. Die Trachtenmode der Männer hingegen ist geprägt von einer Hose, einem langen Hemd mit Weste und einer Jacke. Gerne wird auch ein Spenzer getragen, eine taillenkurze, enganliegende Jacke mit einer Art Schößchen.
Trachtenvereine: Hüter des Brauchtums
Viele der traditionellen Trachten wären längst in Vergessenheit geraten, gäbe es nicht die engagierten Trachtenvereine. Hier treffen sich Jung und Alt, um gemeinsam zu nähen, zu tanzen und zu feiern. Sie sorgen dafür, dass das Wissen um die Herstellung und das Tragen der Trachten weitergegeben wird – und dafür, dass die alten Bräuche lebendig bleiben.
Nicht nur die Vereine, sondern auch zahlreiche Feste bringen die Menschen zusammen und feiern die Trachten und Traditionen. Die Europeade ist das wohl größte Trachten- und Folklorefestival, das an wechselnden Orten in Europa stattfindet. Mit bunten Kostümen und faszinierenden Tänzen wird die kulturelle Vielfalt gefeiert. 2023 fand das Fest der Farben in Gotha statt.
Finsterbergen: die Wiege der Thüringer Trachtenvereine
Die Entwicklung des mechanischen Webstuhls ermöglichte ab dem 19. Jahrhundert, Stoffe günstiger herzustellen. Das nutzten die Menschen, um sich selbstbestimmter zu kleiden. Zur Bewahrung der Trachtentradition gründeten sich deshalb die ersten Trachtenvereine: 1895 entstand die Trachtengruppe Finsterbergen als erster thüringischer Trachtenverein. Es folgten weitere in Ruhla, Tabarz und Friedrichroda. Die Vereine begleiten seitdem die Entwicklung der Trachtenmode und unterstützen somit auch den Tourismus.
Mittlerweile wird vom Deutschen Trachtenverband sogar regelmäßig die „Tracht des Jahres“ gekürt: „Dreimal haben dort schon Thüringer Trachten gewonnen: die Tracht von Ruhla, die Altenburger Bauerntracht und die Tabarzer Schurztracht“, berichtet Knut Kreuch stolz.
„Tracht ist auch immer Herkunft.“
Dazu entstand der „Tag der Tracht“ am dritten Sonntag im Oktober: eine bundesweite Veranstaltung, bei der sich die Vereine treffen und die Tracht in den Mittelpunkt stellen. An diesem Tag kann jegliche Tracht gesehen werden – von der alltäglichen Trachtenmode über die Tracht eines Berufsstands bis zur Festkleidung. Denn das macht die Tracht aus: Sie ist ein wertschätzender Ausdruck der eigenen kulturellen Identität.